Digitalzwang? Nein, danke …
Autor: Dominik Mohilo, Redakteur und IT-Experte bei der Münchner Kommunikations-Beratungsgesellschaft PR-COM
Mein Vater ist Rentner – und er hat Geldprobleme. Das liegt glücklicherweise nicht an einem mäßig gefüllten Konto. Nein, er weiß schlicht und ergreifend nicht, wie er sein Konto noch verwalten soll: Immer mehr Bankfilialen verschwinden, und zuverlässig sind Bankautomaten auch nicht wirklich. Die Lösung scheint so banal wie einfach: Online-Banking. Und genau an diesem Punkt beginnen die Probleme.
Er ist einer von vielen, die die schöne neue Digitalwelt abzuhängen droht, da sie sich mit neuen Technologien unsicher fühlen oder ihnen skeptisch gegenüberstehen. Beim Online-Banking etwa sind manche schlicht überfordert mit der nicht immer leicht einzurichtenden Zwei-Faktor-Authentifizierung. Andere hingegen fürchten um die Sicherheit ihrer Konten. Kein Wunder, denn Phishing-Attacken sind weiter auf dem Vormarsch – und künstliche Intelligenz hilft Cyberkriminellen sogar dabei, täuschend echte Mails und SMS-Nachrichten zu verschicken, um kostbare Log-in-Daten abzugreifen. Auf Betrüger fallen übrigens nicht nur Rentner wie mein Vater herein, sondern auch genug Menschen, die sich selbst als „tech savvy“, also versiert im Umgang mit Technologie einschätzen. Ganz unbegründet ist die Befürchtung im Hinblick auf die Datensicherheit also nicht. Zudem sind Online- und Digitalservices ein Dorn im Auge aller, die ihre persönlichen Daten nicht nur vor Hackern, sondern auch vor Unternehmen schützen möchten. Zu Recht: Beinahe täglich gibt es Berichte von Apps vermeintlich seriöser Anbieter, die uns ausspionieren.
Gründe, auf digitale Angebote zu verzichten, gibt es also reichlich – jedoch fehlen die Alternativen zunehmend, gerade bei „systemischen“ Angeboten. Wer glaubt, es höre beim Online-Banking auf, irrt gewaltig. Auch Post, Bahn und Verwaltung setzen immer stärker auf Services, die ohne technologische Grundausbildung und ein recht großes Maß an Freigiebigkeit in Bezug auf persönliche Daten gar nicht nutzbar sind. Da Menschen wie mein Vater somit mehr und mehr unverzichtbare Dienstleistungen kaum noch analog nutzen können, entsteht ein Digitalzwang. Schuld daran tragen natürlich Akteure wie die Bahn, Banken, Behörden und die ehemalige Bundespost. Doch vor allem wir Digital Natives haben diese Situation durch die Forderung nach mehr Digitalisierung in Deutschland verschärft. In unserer Ignoranz – oder freundlicher ausgedrückt: Progressivität – vergessen wir viel zu häufig jene, die mit dem digitalen Zeitalter nicht so gut klarkommen oder berechtigte Sorge um ihre Daten haben.
Zum Glück gibt es ja die Politik. Klingt vielleicht erst einmal ironisch, aber am heute bundesweit zelebrierten Digitaltag verdient sie durchaus Lob. Im Zuge der Feierlichkeiten melden sich zahlreiche Staatsvertreter zu Wort, immerhin scheinen sie einen Teil des Problems erkannt zu haben. So liest man: „Die Vermittlung digitaler Kompetenzen wird […] immer wichtiger – egal in welchem Alter“. Ein guter Ansatz, der allerdings nur einen Teil des Problems adressiert. Die Digitalisierung barrierefrei zu gestalten und allen Altersgruppen die nötige Kompetenz zu vermitteln, ist schön und gut. Allein für dieses Commitment verdient die Politik eine Eins Plus mit Sternchen. Doch getan ist es damit nicht, denn es gibt wie gesagt nicht nur Bürgerinnen und Bürger, deren Digitalkompetenz zu steigern ist. Die Regierung muss auch jene abholen, die ihr Recht auf Anonymität und den Schutz sowie die Sicherheit ihrer persönlichen Daten über die Konvenienz digitaler Angebote stellen.
Auch dahingehend haben wir in der Vergangenheit bewiesen, dass wir Digitalisierung können, so wir denn wollen. Das hat zum Beispiel die Einführung der Datenschutzgrundverordnung gezeigt, mit der EU und Bundesregierung zeigten, dass sie den Datenschutz ernst nehmen und legislativ umsetzen können. Genau das gleiche Mindset sollte die Politik auch bei der Bekämpfung des um sich greifenden Digitalzwangs verinnerlichen – nicht zuletzt deshalb, weil er das Konzept des Datenschutzes ad absurdum führt. Was wir daher nun brauchen, ist ein zweispuriger Kurs. Einerseits soll die Digitalisierung natürlich nicht auf der Strecke bleiben, im Gegenteil. Wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem der Fokus auf die Absicherung digitaler Services sowie der Schutz persönlicher Daten der Nutzerinnen und Nutzer. Andererseits ist genauso elementar, etablierte analoge Dienstleistungen weiterhin bereitzustellen, um eben keinen zurückzulassen. Eine Initiative, dieses „Recht auf Leben ohne Digitalzwang“ im Grundgesetz zu verankern, hat der Digitalcourage e.V. gestartet. Frei nach dem Motto: Digitalisierung ja – Digitalzwang? Nein, danke …
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